Seit dem Jahr 2011 bearbeite ich als Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt die Themen Asyl, Migration und Antifaschismus. Ich habe auch als Mitglied des Stadt- Fraktions- und Landesvorstands 24 Jahre unsere Partei und unsere Politik mitgestaltet. Der Kampf um die Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh, der Kampf gegen Abschiebungen und Polizeigewalt, antifaschistische Gegenwehr gegen Neonazis und die AfD, Recherche und Dokumentation, die solidarische Unterstützung von Betroffenen und Überlebenden rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt haben diese Jahre geprägt. Die Lage hat sich verschärft. Heute ist die extreme Rechte stärker, als sie es jemals seit 1945 war, und die demokratischen Parteien bewegen sich nach rechts, jede Woche weiter. In dieser Lage und am vorläufigen Tiefpunkt der Krise der Partei Die Linke stand an diesem Wochenende mit dem Bundesparteitag die Frage an, welche Partei Die Linke in Programm und Praxis sein soll und sein wird. Ist Die Linke die antifaschistische Partei, die sie sein will? Die unteilbare Menschenrechte erkämpft?
Dazu muss Die Linke dem unerträglichen Antisemitismus in den eigenen Reihen mit Klarheit begegnen, mit Gegenwehr. Dazu muss sie das Schweigen der Vorstände und Parteistrukturen brechen, das Wegschauen, das Versagen im Kampf gegen Judenhass im eigenen Laden. Dazu muss sie begreifen, dass, wer Menschenrechte erkämpfen will, keine Banden bilden kann mit denen, die den jüdischen Staat vernichten wollen, die auf das größte Pogrom an Jüdinnen und Juden seit der Shoah mit Applaus reagieren, die der Gewalt in Israel eine Explosion des Antisemitismus in Deutschland folgen lassen, die Jüdinnen und Juden und den jüdischen Staat als das Übel der Welt zeichnen. Die historische Verantwortung nach der Shoah, dass nie wieder geschieht, was geschehen ist – dieser Verantwortung wird nicht gerecht, wer nicht gegen jeden Antisemitismus kämpft. Auch und vor allem den im eigenen Lager. Die Linke kritisiert laut, wenn Konservative Rassismus an Gedenktagen verurteilen, um danach rassistische Politik zu machen. Die Linke kritisiert laut, wenn Konservative Neonazis und Faschisten in Parlamenten erst verurteilen und sie dann stark machen. Die Linke ist viel zu leise, wenn intern die Parole ausgegeben wird: Geschlossenheit vor Klarheit im Kampf gegen Antisemitismus.
Diese Partei ist nicht wichtiger als die Sicherheit von Jüdinnen und Juden. Keine Partei ist das. Antisemitismus ist eine tödliche Gefahr. Am 9. Oktober in Halle (Saale), am 7. Oktober in Israel.
Der Bundesparteitag hat mit „Deeskalation und Abrüstung in Nahost“ einen Antrag beschlossen, der allseitig als um die Einheit der Partei Die Linke bemühter Kompromiss gelobt wurde. Zutreffend stellt der Antrag fest, dass der sogenannte Nahostkonflikt nicht mit dem 7. Oktober 2023 begonnen habe, nur um in den nächsten Sätzen die Ursachen allein in Besatzung und Siedlungsbau zu erkennen. Aber mit keinem einzigen Satz in dem mörderischen Antisemitismus, der seit dem ersten Tag des Bestehens des Staates Israel auf dessen Vernichtung drängt. Eine Vernichtung, die der Staat Israel nur durch militärische Gewalt abwenden kann, solange und soweit er militärisch angegriffen und bedroht wird. Die Forderung, Israel keine Waffen zu liefern, würde Israel bei ihrer Umsetzung in letzter Konsequenz schutzlos stellen und den einzigen jüdischen Staat, Heimstatt auch Überlebender der Shoah, der Gefahr der Vernichtung preisgeben. Darin eine historische Lehre aus deutscher Geschichte – also aus der Tatsache, dass nur mit militärischer Gewalt die Shoah und der zweite Weltkrieg gestoppt werden konnten – zu erkennen, ist mir nicht möglich. Diese Friedenspolitik läuft, wie die Positionen zur Ukraine, auf eine Politik des Sterbenlassens hinaus. Sie erkämpft keine Menschenrechte im Hier und Jetzt, sondern pflegt Folklore und Traditionssätze.
Es zeichnet sich mit dem Bundesparteitag ab, dass ein kompromissloser Kampf gegen jeden Antisemitismus in und mit dieser Partei mir nicht möglich ist – so sehr er auch in Reden behauptet wurde. Teile der Partei werden weiter mit Jenen Bündnisse eingehen (oder selbst solche Positionen vertreten), die aggressiv gegen Israel auf die Straße gehen und die Menschen in Gaza der Herrschaft der Hamas überlassen wollen und damit weiterem Leid. Denen die grauenhafte Situation in Gaza keine Empathie abringt, sondern nur Munition ist im Kampf gegen Israel. Die sich in Gruppen wie „Sozialismus von unten“ organisieren, deren Positionierungen erkennbar auf die Forderung nach Vernichtung des jüdischen Staats hinauslaufen. Gruppen wie Handala Leipzig, die Teilnehmende von Protesten gegen Antisemitismus bei instagram mit dem Symbol der Hamas zur Markierung von Zielen kennzeichnete. Der Bundesparteitag hat einem Antrag von Delegierten, Vertreter:innen dieser Gruppe sprechen zu lassen, nicht seine Beschlusslage gegen Antisemitismus entgegengehalten. Sondern feuerpolizeiliche Vorgaben zur Anzahl der Gäste im Saal.
Teile der Partei werden weiter ehrlich bemüht um kluge, empathische und linke Positionen in diesem komplexen Konflikt suchen. Und manche werden weiter gegen Antisemitismus kämpfen. In den vergangenen Jahren und Monaten habe ich erlebt, wie an vielen Stellen in der Partei Die Linke Einheit und Geschlossenheit mit dem Kompromiss erkauft wurden, zu Antisemitismus in den eigenen Reihen immer wieder zu schweigen und es Einzelnen überlassen wurde, dagegen zu halten. Der Bundesparteitag hat mir gezeigt, dass sich daran nichts ändern wird.
Ich erkläre daher mit sofortiger Wirkung meinen Austritt aus der Partei Die Linke.
Dieser Schritt fällt mir als Linker und Antifaschistin sehr schwer. Aber ich stelle fest, dass ich für Die Linke nicht mehr sprechen kann und will. Ich danke für die Solidarität mit mir auf dem Bundesparteitag. Wichtiger und nötiger ist der Kampf gegen Antisemitismus in der Praxis, sein Fehlen ist Grund für mein Gehen. Als Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt und als Antifaschistin werde ich weiter für unteilbare Menschenrechte und gegen Rassismus, Antisemitismus und die extreme Rechte kämpfen. Jenen, die das weiter in der Partei Die Linke tun, wünsche ich viel Kraft. Als Antifaschistinnen und Antifaschisten, gleich wo wir kämpfen, werden wir nicht aufgeben.
Mit antifaschistischen Grüßen
Henriette Quade, MdL
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